Geschichten aus den wilden Landen – Sandwolf und Wüstenpfeil – der zweifache Tod
Eine Geschichte aus dem Volk der Orks, überliefert und niedergeschrieben von Omadd Serandir.
Der grünhäutige Krieger starrte mit zusammengekniffenen Augen auf die sich langsam gen Süden bewegende Karawane hinab. Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als er die spärliche Anzahl der Wachen registrierte. Mit raschen lautlosen Gesten gab er dem drahtigeren jüngeren Ebenbild an seiner Seite zu verstehen, dass er einem Angriff zustimmte, und der junge Ork konnte ein stolzes Grinsen nicht verbergen. Er war es, der die Karawane ausfindig gemacht und seinen Vater Tos’hak hergeführt hatte, und nicht unweit entfernt wartete ein Teil ihrer Horde auf den Angriffsbefehl, den zu überbringen der jugendliche Krieger sich nun beeilte.
Das Leitkamel war zum wiederholten Mal stehen geblieben und weigerte sich, sich in Bewegung zu setzen. Ashan seufzte. Der schattige Pass lag nicht mehr weit entfernt und er sehnte sich danach, zumindest der unbarmherzigen Hitze zu entkommen. Durch das bockige Vieh hatten sie bereits etliche Stunden verloren, sodass sie nun in der brütenden Sonne ihren Weg fortsetzen mussten, um den Pass noch rechtzeitig zu erreichen, statt in seinen beginnenden Zügen die Mittagszeit zu verbringen. Das Kamel war unwirsch ob der schweren Last. Etwas, für das Ashan durchaus Verständnis aufbringen konnte, aber die Stämme benötigten das Wasser und langsam ging ihm die Geduld aus. Er wandte den Blick von den Dünen ab und trat zu dem Karawanenführer, der besänftigend auf das Tier einsprach. „Wir müssen an Tempo zulegen“ drängte er den Mann, der ihn mit einem müden Blick bedachte. Das Kamel setzte sich langsam in Bewegung und Ashan nahm seine Position am Ende des Zuges wieder ein. Seine Kameraden sicherten die Spitze und die Flanken, aber ihm war bewusst, dass sie unterbesetzt und völlig übermüdet waren. Die Trockenzeit hatte ihren Tribut gefordert und die Stämme mussten mehr Karawanen schützen, um sich mit Wasser zu versorgen.
Als der erste Speer sich vor seinen Füßen in den Sand bohrte, war ein Teil von ihm, wie er bestürzt feststellen musste, nicht einmal überrascht, auch wenn er den Angriff nicht hatte kommen sehen. Resignation hatte sich in den letzten Wochen in vielen von ihnen breit gemacht. Die Kamele, die zu viele solcher Überfälle in zu dichter Abfolge über sich hatten ergehen lassen müssen, schienen sich nun endgültig über die Wünsche ihrer Herren hinweg zu setzen und trampelten bei ihrer Flucht mehr als nur einen Airaq nieder. Das Auseinanderreißen der Karawane war das denkbar Schlechteste, was ihnen passieren konnte. Inmitten der Tiere, die für die Orks ebenso wertvoll waren wie für die Airaq, hätten sie Deckung finden und sich vielleicht eines Angriffes erwehren können, aber nun standen sie schutzlos im Sand, als die Grünhäute über sie herfielen. Ashan und seine Kampfgefährten bildeten einen engen Kreis, doch er wusste, dass sie hier nicht mehr tun konnten, als den fliehenden Kamelen und ihren Reitern Zeit zu verschaffen. Sein Bruder fiel als Erster, den Schädel zertrümmert von der unförmigen Keule eines Orks. Ein Hieb brachte Ashan ins Taumeln, seine Beine unter ihm versagten. Als er den Blick hob, starrte ihm ein bulliger Ork entgegen, dessen rechte Gesichtshälfte von einer tierhaften Zeichnung verunstaltet war. Triumph flammte in den Augen seines Gegenübers auf, dann übertönte ein entferntes Knurren den Lärm und Ashan beobachtete mit Faszination, wie sich das siegessichere Grinsen seines Gegners in eine angstvolle Fratze wandelte, ehe der Ork sich fasst und den Speer in die Brust des Airaq rammte. Kurz bevor Ashans Sicht verschwamm, glaubte er in der Entfernung einen massigen Schatten über die Dünen preschen zu sehen.
To’shak zog seine Waffe mit einer raschen Bewegung aus dem Mann und wandte sich zu seinen Kriegern um. Der Großteil von ihnen hatte den Kampf eingestellt und waren auf die Knie gesunken. Stille kehrte ein. Er konnte es ihnen nicht verübeln, dennoch wallte Stolz in ihm auf, als sein Sohn seinem prüfenden Blick begegnete. „Der Tod ist flink und selten gnädig, er findet dich, egal wo du dich versteckst oder wie schnell du fliehst, also stelle dich ihm, wenn die Zeit gekommen ist. Oder wenn du den Mut hast, dann ehre ihn und wage den Wettlauf, denn er weiß eine gute Jagd zu schätzen.“ Die Worte kamen ihnen gleichzeitig über die Lippen, dann setzten sie sich in Bewegung. Ein weiterer Krieger folgte ihnen mit schneller werdenden Schritten.
To’shak vernahm das Schlagen seines Herzens und das Pochen seines Blutes, beinahe übertönte es die Geräusche, als der Tod hinter ihnen eintraf, Zähne sich durch dicke Haut bohrten und Kehlen zerfetzt wurden. Er hatte den Pass fixiert, unnachgiebig wandte er seinen Blick nicht davon ab, während sie über den Sand hetzten. Er wusste, dass der Schatten aufschloss. Sein Krieger ging hinter ihm zu Boden, keinen Laut von sich gebend, war er doch tot, ehe sein Körper im Sand aufprallte. Sein Sohn vor ihm streckte in vollem Lauf die geballte Faust in die Luft, erwies seinem Vater damit Respekt und brach dann nach Norden aus. To’shak , den die Geste seines Sohnes durchaus berührte, nahm lautlos von ihm Abschied. Sie würden einander nicht wieder sehen, aber dadurch, dass sie sich aufteilten, war die Jagd verlängert worden, etwas, das der Tod zu schätzen wusste. Seine Instinkte verrieten ihm, dass er nun das Ziel war. Der Wüstenpfeil durchbohrte sein Herz, und der Ork sank mit einem zufriedenen Lächeln zu Boden.
„Sag mir noch einmal, mein zähnestarrender Freund, was steht uns zu?“ die Stimme war sanft, leise, kaum mehr als ein Wispern und der Sandwolf legte den Kopf schief, beäugte die Gestalt, die sich hinab beugte und einen Pfeil aus dem Körper des Orks zog. „Du hast Recht, alles“ fuhr die Stimme fort. „Und es wird nicht enden, bis zu dem Tag an dem es nur noch uns Beide gibt, und dann, mein lieber Freund, dann werde ich vor dir fliehen und du vor mir“.